Der Verfolgung schutzlos ausgeliefert

Else von den Velden und Esther Abel

Freiherr-vom-Stein-Allee 10

Die Freiherr-vom-Stein-Allee ist eine der schönsten Straßen Weimars. Beschattet von großen alten Bäumen stehen dort Villen, die zumeist um die Wende zum 20. Jahrhundert erbaut wurden. In dieser Straße, die bis 1952 Carl-Alexander-Allee hieß, benannt nach dem vorletzten Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach, lebten in der Nr. 10 Adolf und Else von den Velden.

Adolf von den Velden wurde am 24. Dezember 1853 in Frankfurt am Main geboren. Nach dem Schulbesuch absolvierte er ein Studium der Chemie und wurde 1877 an der Universität Leipzig promoviert. Danach war er unter anderem als Direktor einer chemischen Fabrik in Buffalo/USA tätig. Doch schon wenige Jahre später wandte er sich anderen Interessen zu. Ab 1882 nahm er Unterricht am Städelschen Kunstinstitut in Frankfurt a. M., studierte dann an der Preussischen Akademie der Künste in Berlin und trat danach als Landschafts- und Tiermaler hervor. Außerdem widmete er sich der Genealogie, der Wissenschaft von den historischen menschlichen Verwandtschaftsbeziehungen und ihrer Darstellung. Er wurde bekannt für seine auf Segeltuch gemalten Ahnentafeln und Familienstammbäume.

Am 4. September 1886 heiratete Adolf von den Velden in Berlin Else Schadow. Sie wurde am 31. Oktober 1863 dort geboren und war jüdischer Herkunft. Das Ehepaar bekam vier Kinder, die Tochter Esther (1887–1942) und die Söhne Ulrich (1888–1917), Heinrich (1891–1915) und Friedrich (1897–1931). Im Jahr 1892 ließ sich die Familie in Weimar nieder. 1895 erwarb Adolf von den Velden schließlich die dreigeschossige Villa in der Carl-Alexander-Allee 10.

Adolf von den Velden starb am 4. Juli 1932. Zu diesem Zeitpunkt waren auch seine drei Söhne bereits verstorben. Else von den Velden erbte das Haus in der Carl-Alexander-Allee. Dort wohnte sie in den folgenden Jahren allein in der ersten Etage. Das Erdgeschoss und die zweite Etage wurden vermietet.

Die Tochter Esther, die ab 1911 an der Großherzoglich Sächsischen Kunstgewerbeschule Ornamentik, Farbenlehre und Weberei studiert hatte, war seit 1915 mit dem österreichischen Offizier Kornel Abel (geboren 1. August 1881) verheiratet und lebte in Wien. Auch Kornel Abel war jüdischer Herkunft.

Ab 1933 war Else von den Velden in Weimar den stetig zunehmenden antisemitischen Verfolgungsmaßnahmen des nationalsozialistischen Regimes ausgesetzt. Nach dem “Anschluss” Österreichs an Deutschland im März 1938 waren auch Esther Abel und ihr Mann in Wien davon betroffen. Anfang 1939 zogen die beiden nach Weimar um und wohnten nun bei Else von den Velden in der Carl-Alexander-Allee. Auch hier blieben sie der Verfolgung schutzlos ausgeliefert. Nach 1940 verlieren sich die Spuren Kornel Abels in Weimar. Sein Schicksal ist bis heute ungeklärt.

Ab September 1939 unterlag Else von den Veldens Vermögen einer “Sicherungsanordnung”, die sie in der Verfügung darüber auf einen von den NS-Finanzbehörden immer niedriger angesetzten monatlichen Unterhaltsbezug beschränkte. Auch über ihr Haus durfte sie nicht mehr frei verfügen. Vermutlich Ende 1941 oder Anfang 1942 bekamen die ebenfalls aufgrund ihrer jüdischen Herkunft verfolgten Schwestern Martha und Selma Kahn sowie deren Tante Rosa Marchand in der Carl-Alexander-Allee 10 zwangsweise von der Gestapo in der Wohnung von Else von den Velden und Esther Abel ein Zimmer mit Küchenbenutzung zugewiesen.

Kurz darauf verstarb Else von den Velden am 12. März 1942. Mit einem Nachtrag zu ihrem Testament vom 4. Februar 1942 hatte sie nicht-jüdische Verwandte als “Nacherben” für ihre Tochter festgelegt.
Auch Esther Abel hatte am 2. Februar 1942 ein entsprechendes Testament aufgesetzt. Dies geschah sehr sicher angesichts der ihr drohenden Deportation, der nach dem Tod der Mutter auch eine Enteignung des Hauses gefolgt wäre. Anders als den meisten “jüdischen Mischlingen” drohte Esther Abel bereits zu diesem Zeitpunkt die Deportation, weil sie aufgrund ihrer Ehe mit Kornel Abel nach der NS-Rassengesetzgebung als “Volljüdin” verfolgt wurde.
Die Testamentsänderung lässt die Vermutung zu, dass Esther Abel mit ihrer Mutter darüber gesprochen hat, die “Flucht in den Tod” zu ergreifen.

Am 3. April 1942 setzte sie ihrem Leben unter dem Druck der Verfolgung in der Carl-Alexander-Allee ein Ende.

Text: Rüdiger Haufe

Weitere Literatur:

Ulrich Völkel (Hg.): Stolpersteingeschichten Weimar, Weimar 2016, Eckhaus-Verlag