Deutsches Nationaltheater

Das DNT um 1938 (Stadtarchiv Weimar)

An kaum einem anderen Gebäude in Weimar verdichtet sich die politische Indienstnahme des kulturellen Erbes der Stadt so stark wie am Deutschen Nationaltheater, das mit dem 1857 eingeweihten Denkmal Goethes und Schillers zum symbolischen Ort Deutscher Klassik avanciert war. Hier wurde 1919 die Deutsche Nationalversammlung und sieben Jahre später, 1926, unter dem Zeichen des Hakenkreuzes der erste Reichsparteitag eröffnet.

1791 beschloss Herzog Carl August die Gründung des Weimarer Hoftheaters, das 1779 am heutigen Standort des Theaters errichtet worden war. Die Leitung bekam Goethe übertragen. Von 1799 bis 1805, dem Todesjahr Schillers, wirkten Goethe und Schiller gemeinsam an der Weimarer Bühne. Unter der Ära Maria Pawlownas wurde es zur Bühne europäischen Musiklebens. Sie berief nach Goethes Rücktritt den europaweit gerühmten Mozartschüler und Klaviervirtuosen Johann Nepomuk Hummel als Kapellmeister nach Weimar, in dessen Nachfolge ab 1842 Franz Liszt und ab 1889 Richard Strauss standen.1907 entstand an der Stelle des alten Hoftheaters ein Neubau im Stil des Neoklassizismus.

Neben der Funktion als Spielstätte war das Haus seit 1900 Schauplatz kulturpolitischer Hegemonialkämpfe und wurde für Weimar zum Symbol der Auseinandersetzungen konkurrierender Gruppierungen um Klassik, Tradition und Moderne. Die Vorschläge reichten von der Einrichtung eines avantgardistischen Mustertheaters bis hin zu der Vorstellung, eine auf nationale Werte beruhende Bühne zu etablieren, was sich real in den seit 1909 stattfindenden Schillerbund-Festspielen widerspiegelte. Sie waren Teil eines „völkischen“ Erziehungsprogramms, das von nationalkonservativen Kreisen unterstützt wurde.

Mit der Deutschen Nationalversammlung wurde das Theater vom 6. Februar an zur Stätte einer politischen Erneuerung.
Fünf Jahre später fand mit dem sogenannten „Deutschen Kulturbekenntnis“ am 16. und 17. August die erste Reichstagung der Deutschvölkischen Freiheitspartei statt. Sie war Vorbote der nationalsozialistischen Vereinnahmung des Hauses, die mit dem hier 1926 abgehaltenen NS-Reichsparteitag eröffnet wurde.

Nationalsozialistische Feierstätte
Zum 1. Reichsparteitag der Wiederzulassung der NSDAP in Weimar war fast die gesamte Parteispitze versammelt. Wichtige Teilnehmer waren Adolf Hitler, Wilhelm Frick, Julius Streicher und Joseph Goebbels. Vor allem galt es, an diesem Tag Ergebnisse vorzustellen. Alfred Rosenberg hatte zum Beispiel von der Sondertagung für Pressefragen den Antrag eingebracht, den Adler mit Hakenkreuz im Eichenkranz als einheitliches Zeichen der nationalsozialistischen Presse einzuführen.
Außerdem wurde in szenischer Selbstdarstellung erstmalig zur Demonstration von Harmonie zwischen dem Führer und seinen Anhängern aufgefordert und die Suggestivkraft äußerer Attribute erprobt. Große Aufmärsche von mehreren tausend SA-Mitgliedern vor dem DNT und in der ganzen Stadt rahmten die Veranstaltung. In Weimar marschierte die SA erstmals in größerer Formation geschlossen im Braunhemd, das sich gerade als einheitliches Uniformstück durchzusetzen begann. Als Zeichen ihrer inneren Verbundenheit wurde die „Blutfahne“ geschwenkt, jene Hakenkreuzfahne, die beim Marsch zur Feldherrnhalle an der Spitze des Zuges mitgeführt und angeblich mit dem Blut gefallener „Kameraden“ getränkt worden war. Sie wurde zum „Heiligtum“
der NS-Bewegung. Zusammenfassend war der Weimarer Parteitag ein voller Erfolg für Hitler, da die neu entwickelten Programme vom Großteil der Bevölkerung begrüßt wurden und die NSDAP ihre Geschlossenheit erstmals in der Öffentlichkeit präsentieren konnte. Der Gauleiter Artur Dinter äußerte sich hierzu folgend: „An der Stelle, wo Ebert saß, sitzt und steht heute Adolf Hitler (…). Das ist der Beginn einer neuen Zeit.“

Eingriffe und Vertreibung
Die Indienstnahme des Theaters durch völkisch-national gesinnte Kreise äußerte sich direkt in antisemitischen Kampagnen. 1924 verließ der Generalmusikdirektor Julius Prüwer, er war jüdischer Abstammung, aufgrund persönlicher Diffamierungen auf eigenes Gesuch Weimar. Im gleichen Zuge wurden Spielplanänderungen durchgeführt, zur Aufführung sollten vermehrt vermeintlich „deutsche“ Autoren kommen.

Ab 1933 übernahm Ernst Nobbe und ab 1936 Hans Severus Ziegler, der sich bereits in den 1920er Jahren für eine staatliche Zensurstelle eingesetzt hatte,
die Führung des Hauses. Unter seiner Ägide fand eine personelle „Säuberung“ des Hauses statt. Bis 1935 waren alle Künstler jüdischer Abstammung entlassen worden und erlitten zum Teil schreckliche Schicksale: Der ehemalige Solocellist Eduard Rosé kam am 24. Januar 1943 im KZ Theresienstadt um; der Sänger Emil Fischer flüchtet schließlich mit seiner Familie nach Amsterdam, sie werden nach dem Einmarsch der Wehrmacht allerdings nach Sobibór deportiert und ermordet. Die ehemalige Sängerin Jenny Fleischer-Alt nahm sich mit ihrer Nichte in Erwartung ihrer Deportation ins KZ das Leben.

Gleichzeitig spielte das Theaterensemble zur Unterhaltung der SS im Casino des KZ Buchenwald, wo Franz Léhar, dessen Stück „Land des Lächelns im Großen Haus beklatscht wurde, Häftling war.

Dr. Christiane Wolf, Jonny Thimm: Scanning Weimar – Orte der NS-Zeit, DVD, Weimar 2006