Während des Zweiten Weltkriegs dienten die unterirdischen Gänge der Parkhöhlenanlage an der Ilm, die gemeinhin als bergbaugeschichtliches Naturdenkmal europäischen Ranges gelten, der Weimarer Bevölkerung als Luftschutzräume. Kriegsgefangene sowie Häftlinge aus dem KZ Buchenwald waren für den Um- und Ausbau der Stollen verantwortlich.
Die 1794–97 angelegten Felsenkeller und Stollen sollten ursprünglich einer unterirdischen Schlossbrauerei dienen und Abwässer ableiten. Dieses Vorhaben realisierte sich allerdings nicht. Bis 1805 wurde der Abbau von Travertin für den Wegebau betrieben; danach diente die Parkhöhle als Wandelgang und als Lager für Bier und Holzkohle.
Auf einer nichtöffentlichen Ratsherrensitzung im Weimarer Rathaus beriet man am
13. April 1944 auf Anweisungen des Reichsverteidigungsministeriums über „Luftschutzmaßnahmen“ und beschloss, aus dem damals beinahe vergessenen historischen Abwasserstollen und unterirdischen Wandelgang einen der wichtigsten Luftschutzräume für die Weimarer Bevölkerung zu machen. Italienische Kriegsgefangene und Häftlinge des KZ Buchenwald führten die notwendigen Beräumungs- und Installationsmaßnahmen durch. Die in den letzten Kriegsmonaten ausgemauerten Bereiche sollten der Errichtung einer „Gaumeldestelle“ dienen. Die Stollenanlage hielt auch dem schwersten Luftangriff zwölf Tage vor der Besetzung Weimars stand,
bei dem mehrere großkalibrige Bomben in unmittelbarer Nähe einschlugen (31. März 1945). Viele Bürger verbinden heute ihre Erinnerungen an die alliierten Luftangriffe mit ihren Aufenthalten in den Parkhöhlen, bei denen sie teilweise auch auf Häftlinge trafen, die das Stollensystem immer weiter ausbauen sollten.
Auf Befehl der Sowjetischen Militäradministration sprengte man am 26. Dezember 1946 im Rahmen der Zerstörung sämtlicher Weimarer Luftschutzanlagen die Klinkerkammern. Heute sind die unterirdischen Gänge teilweise als Untertagemuseum wieder zugänglich.
Auszug aus dem Protokoll einer nichtöffentlichen Ratsherrensitzung im Weimarer Rathaus zu „Luftschutzmaßnahmen“.
Vom 13. April 1944. (Stadtarchiv Weimar)
„Der in Frage kommende Hohlgang (es sind außer diesem noch andere vorhanden) beginnt an der Naturbrücke. Er führt unter dem Tempelherrenhaus hindurch bis zu dem Grundstück der Belvederer Allee 3a und 4. Von der durchgehenden Hauptstrecke zweigen nach beiden Seiten zahlreiche zum Teil wieder zusammenhängende Nebengänge ab.
Es ist nun vorgesehen, auf dem Zugangsweg zu dem Grundstück Belvederer Allee 3a (Eigentümer Land Thüringen) einen Schleppschacht abzuteufen. Ein zweiter Schleppschacht gleicher Art soll auf der Südseite der ehemaligen Hofgärtnerei an dem vom Liszthaus kommenden Fußweg angelegt werden. Als dritter Ausgang wird der jetzige Zugang an der Naturbrücke so hergerichtet, dass er gegebenenfalls auch mit Kinderwagen benutzt werden kann. Zur Sicherung der Gesteinsdecke in den Hohlgängen ist eine Türstockzimmerung mit 2,0 m Abstand vorgesehen, ferner auf die Breite der Aufenthaltsstollen eine Sicherung durch Bohlen. Die Sitzbänke werden aus Holz erstellt. Beleuchtung ist elektrisch gedacht, Notbeleuchtung durch Petroleum.
Die ursprünglich geplante künstliche Belüftung wird sich nicht durchführen lassen,
weil die erforderlichen Hes-Lüfter 2,4 cbm nicht erhältlich sind. Da die einzelnen Zugänge verschiedene Höhenlagen haben, entsteht sowieso ein kräftiger Durchzug, so dass die künstliche Belüftung entbehrlich erscheint. Im übrigen bieten die vielen unbenutzten Nebengänge
ein reichliches Luftreservoir. (…)“
Zeitzeugenberichte
Martin Bellmann, Jg. 1929
„Angesichts der Arbeiten an den Parkhöhlen erinnere ich mich an Erlebnisse der Jahre 1944–45
in diesen Höhlen. Das verzweigte System der unterirdischen Gänge im Ilmpark war in den letzten Kriegsjahren teilweise als Luftschutzraum zugänglich gemacht worden. Damals fünfzehnjährig, wohnte ich mit meinen Eltern in der Carl-Alexander-Allee, der heutigen Freiherr-vom-Stein-Allee. Bei Fliegeralarm begaben wir uns in die nahe gelegenen Parkhöhlen und hielten uns dort, vorrangig nachts, oft stundenlang auf. Hunderte Menschen suchten so, ausgerüstet mit Decken, Notverpflegung und Kerzen für Stromausfall, in den verzweigten Gängen Schutz vor den Bomben. Man sprach von 5 bis 15 m mächtigem Gestein über den Stollen und fühlte sich dort sicherer als in den Hausluftschutzkellern. Als Zuggang war eine breite Treppe aus Stein angelegt worden. (…)
Ich erinnere mich, bei den damaligen Erschließungsarbeiten am Eingang Arbeitskolonnen
mit Häftlingen aus dem KZ Buchenwald gesehen zu haben. Ebenso erinnere ich mich unseres letzten Aufenthaltes in den Höhlen vor Kriegsende, als sich die Nachricht von der Befreiung des Lagers Buchenwald unter den Menschen in der Höhle verbreitete und Angst vor möglichen Auseinandersetzungen mit Häftlingen auslöste.“
Dr. Erhard Naake, Jg. 1929
„Es war zu Beginn des Jahres 1945. Ich war damals Schüler der Schiller-Oberschule. An einem Vormittag wurde, wie so oft in jener Zeit, Voralarm gegeben. Wir wurden von unseren Lehrern nach Hause geschickt. Zusammen mit einigen Klassenkameraden eilte ich jedoch in den Park, um von dort aus die anfliegenden Bomberverbände und Aktionen der Luftabwehr zu beobachten.
Von Luftschutzhelfern wurden wir jedoch gezwungen, in der unterirdischen Anlage im Park Schutz zu suchen. Wir hielten uns dort in einem der Gänge, zusammen mit Hunderten von Schutzsuchenden, etwa anderthalb Stunden lang auf. Wir konnten in dieser Zeit beobachten, wie italienische Kriegsgefangene dabei waren, die vorhandenen, meist sehr niedrigen und unebenen Gänge
weiter auszubauen.“
Marie Waldenburger, Jg. 1910
„Im Januar und Februar 1945 suchte ich bei Fliegeralarm mit meinen beiden Mädchen einige Male die Höhlen im Stadtpark (bei der Quelle am Nadelöhr) auf. Dies geschah in den Abendstunden und einmal auch am Tage, wenn mich der gemeldete Anflug von feindlichen Bombenverbänden bei Besorgungen in der Stadt überraschte. Viele Leute hatten sich in die Höhlen begeben, wo man sich ziemlich sicher fühlen konnte. Ich schätze, dass wir vielleicht 20–30 m in der Höhle bzw. in Seitengängen waren. Auch Häftlinge aus Buchenwald, die im Park nach Bombenabwürfen waren, hatten am Tage Schutz in der Höhle gesucht. Wir gaben ihnen Brot und wurden daraufhin verwarnt, d.h. die Wachmannschaft verbot uns das. Nach der Entwarnung verließen wir die Höhlen. Noch heute, wenn wir im Park einen Spaziergang machen, denke ich an diese Stunden voller Angst und Hoffnung.“
Ilse-Sybille Stapff, Jg. 1911
„Nach dem ersten schweren Bombenangriff auf Weimar am 9. Februar 1945 suchte niemand von den Bewohnern unseres Hauses in der Brennerstraße mehr den Luftschutzkeller im Hause auf, weil das Haus bei den doch ziemlich entfernten Bombenabwürfen schon sehr gewackelt hatte. Vielmehr suchten wir bei Fliegeralarm in den drei Stockwerke tiefen Kellern unter dem Turmhaus des Platz Adolf Hitlers, die als öffentliche Luftschutzräume freigegeben waren und wo wir uns sicherer fühlten.
Am Ostersonntag, dem 31. März 1945 vormittags aber war ich gerade in der Stadt, d.h. in der Nähe des Marktes beim Einkaufen, als die Sirenen ertönten. Noch schnell nach Hause zu gelangen war nicht mehr möglich, da binnen weniger als zehn Minuten mit dem Eintreffen der feindlichen Flugzeuge zu rechnen war und man sich bei Alarm überhaupt nicht auf der Straße aufhalten durfte. So rannte ich schnell zur Bibliothek an der Ilm entlang zum öffentlichen Luftschutzkeller in der Parkhöhle. Ich erreichte den Eingang am Gesundbrunnen auch noch glücklich, ehe das Inferno über Weimar hereinbrach, einer der großen angloamerikanischen Bombenangriffe, die Weimar hat erdulden müssen. Ich war noch nie in der Parkhöhle gewesen, und ich erstaunte, als ich ein ganzes System von Haupt- und Nebenhöhlen sich vor mir auftun sah, dicht gefüllt mit schutzsuchenden Einwohnern Weimars. Immer neue drängten noch zu dem engen Eingang herein. Die Sitzgelegenheiten reichten bei weitem nicht aus. Ich stand etwa im ersten Drittel des Höhlensystems in einer spärlich erleuchteten Seitenhöhle. Die größeren Haupthöhlen waren elektrisch erleuchtet.
Bald erschienen die feindlichen Bomber über der Stadt. Flakfeuer setzte ein, und Krachen und Bombendetonationen waren trotz der mächtigen Felsenschicht über der Höhle zu hören und zu spüren. Durch die Erschütterung bröckelte Kies von den Konglomeratfelsen der Decke. Man hatte den Eindruck, als seien Bomben direkt auf das Höhlendach gefallen, aber der Felsen hielt stand.
Den Menschen im Luftschutzkeller geschah nichts. Nicht einmal die elektrische Beleuchtung wurde unterbrochen. Endlich, nach schätzungsweise einer Stunde, war der Angriff zu Ende. Die feindlichen Bomber drehten ab, und es wurde verkündet, dass Entwarnung war. Die Menschen rüsteten sich zum Heimgehen, aber der Ausgang am Gesundbrunnen durfte nicht benutzt werden. Wahrscheinlich waren die Wege an der ‘Kalten Küche’, an der Felsentreppe (‘Nadelöhr’), an der Naturbrücke, am Borkenhäuschen und an der künstlichen Ruine unpassierbar, hatte doch das Tempelherrenhaus einen Volltreffer erhalten.
Wir wurden durch den neugeschaffenen, größeren Ausgang beim Liszthaus hinausgeschleust, und so sah ich beim Hinausgehen erst einmal das gesamte Ausmaß des künstlichen Höhlensystems. Dann trat ich voll Sorge um das Ergehen meiner Mutter und den Zustand unseres Heims den beschwerlichen Heimweg durch die verwüstete Stadt an, vorbei an der zertrümmerten Stadtkirche, und als ich mich unserem Hause näherte, sah ich, dass auch in unserem Garten eine Sprengbombe detoniert war und unser Haus schwer beschädigt hatte. Für Arbeit war damit für mich bis an mein Lebensende gesorgt. Die Hauptsache aber war, dass meiner Mutter, die im Keller unterm Turmhaus gewesen war, nichts geschehen war.“
Dr. Christiane Wolf, Jonny Thimm: Scanning Weimar, Orte der NS-Zeit, DVD, Weimar 2006