Landesamt für Rassewesen

Als Schulungseinrichtung geplant, entwickelte sich das Landesamt für Rassewesen unter der Leitung des „Rassenhygienikers“ Karl Astel zur Schaltzentrale der Erfassung und gezielten Selektion der thüringischen Bevölkerung. Unter dem Vorwand der „Volksgesundung“ wurden 16 000 Menschen sterilisiert und viele weitere getötet.

Am 15. Juli 1933 gründete der Gauleiter und Reichsstatthalter Fritz Sauckel das „Thüringer Landesamt für Rassewesen“ und übergab die Leitung seinem langjährigen Freund 
Karl Astel. Dem Thüringer Innenministerium unterstellt, sollte das Landesamt der Bevölkerung die NS-Rassenideologie vermitteln. Astel und seine Mitarbeiter fingen an, das gesamte thüringische Volk „rassenhygienisch“ zu erfassen; in sogenannten „Sippschaftstafeln“ wurden Gutachten von Personen sowie deren Vor- und Nachfahren archiviert.

Zwischen dem Katasteramt und dem Oberversicherungsamt steht das “Landesamt für Rassewesen” im Weimarer Adressbuch von 1940/41.

Als Bewertungsgrundlage dienten dabei nicht medizinische, sondern (willkürliche) ethische und moralische Kategorien. Dieses „erbbiologische Archiv“ erfasste Personen mit angeblichen Erbkrankheiten wie „angeborenem Schwachsinn“, erblicher Fallsucht, erblicher Blindheit/Taubheit oder schwerem Alkoholismus.
Die Betroffenen wurden durch das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ zur Sterilisation gezwungen. Insgesamt sind fast tausend Fälle durch das Archiv des Landesamtes überliefert. Personen mit geistigen oder körperlichen Behinderungen galten als Ballast für die Gesellschaft und wurden unter dem Vorwand der Euthanasie (Tötung auf Wunsch) systematisch getötet. Eine „Kriminalbiologische Abteilung“ ließ unter der Annahme, dass eine erbliche Veranlagung zu Verbrechen existiere, alle als Kriminelle eingestuften Personen hinrichten. Mit dem Einmarsch der Amerikaner stellte das Landesamt für Rassewesen 1945 seine Arbeit ein.

Rassenkundliche Forschung in Thüringen
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts versuchten Anthropologen und Eugeniker
(Eugenetik = Erbgesundheitslehre) verschiedener Länder, die auf den Lehren Darwins basierenden Rassenvorstellungen auf Menschen zu übertragen, und unterteilten sie 
in Gruppen mit gesunden und weniger gesunden Erbanlagen, um dann deren Fortpflanzungsmöglichkeiten zu unterstützen bzw. zu beschränken. Diese Rassentheorie stand im Mittelpunkt des NS-Weltbilds. Die Nationalsozialisten erfanden nichts Neues, jedoch übertraf ihre Auslegung die frühen Theorien durch Radikalität und Skrupellosigkeit. Was mit dem Ziel, die menschliche Gesundheit zu steigern, begann, endete mit der versuchten Ausrottung von Menschen, deren Leben als „unwert“ eingestuft wurde.

In Thüringen setzte man diese „Rassenideen“ früh um. Bereits 1922 ließ das Klinikum der Universität Jena die ersten vier Bänke ihres Auditoriums für sogenannte Arier freihalten, 1925 gehörte die Universität deutschlandweit zu einer der ersten, an der es eine NSDAP-Hochschulgruppe gab.
1930 ernannte NSDAP-Bildungsminister Frick den antisemitischen Philologen und Publizisten Hans Friedrich Karl Günther gegen den Widerstand des Rektors und Senats zum „Professor für Sozialanthropologie“.
Günther propagierte die Überlegenheit der „nordischen Rasse“.
 „Die kleine Rassenkunde des deutschen Volkes“ war eine seiner zahlreichen pseudowissenschaftlichen Publikationen.

Ab Juni 1934 trat die Universität durch 
die Einrichtung einer Professur für „menschliche Züchtungslehre und Vererbungsforschung“ und das gleichnamige Institut unter der Leitung Karl Astels in eine enge Verbindung mit dem von ihm geleiteten „Landesamt für Rassewesen“ 
in Weimar.

Karl Astel – Leiter des „Landesamts für Rassewesen“
„Zehntausende von schlimmsten Ballastexistenzen werden auf diese Weise […] unschädlich gemacht und in beträchtlichem Maße sogar nutzbringend verwendet.“ (Karl Astel zur Bedeutung von Konzentrationslagern)

Astel wird 1898 in Schweinfurt am Main geboren, nimmt am Ersten Weltkrieg teil und ist Mitglied im Freikorps Epp. 1925 promoviert er zum Dr. med. in Würzburg und tritt 1930 in die NSDAP ein. Bis zu seiner Berufung zum Präsidenten des „Landesamtes für Rassewesen“ ist Astel Leiter der sportärztlichen Untersuchungs- und Beratungsstelle der Münchner Hochschulen.
Am Landesamt entwickelt er die „Sippschaftstafel“, eine eigene Methode für „rassehygienische Arbeit“. In ihr wurden Tätigkeit, Stand, Alter, Todesursache, Körperbau und Gesundheitsverhältnisse der „Sippschaft“ des Betroffenen, d.h. die vier Großeltern und deren Nachkommen festgehalten.
1934 wird er Professor für „menschliche Züchtungslehre und Vererbungsforschung“ in Jena. Bis dahin hat er keine einzige wissenschaftliche Arbeit verfasst. Astel beruft sich in seinen „Studien“ nicht wie andere „Rassentheoretiker“ der NSDAP auf Darwin, sondern auf den Jenaer Zoologen Ernst Haeckel, der allerdings nie ein Rassenkonzept vertreten hat und dessen Lehre durch Astel und Günther stark umgedeutet wurde.
Ab 1936 ist Astel Abteilungsleiter des staatlichen Gesundheits- und Wohlfahrtswesens. 1937 erreicht er den Rang des „Hauptsturmbahnführers“ in der SS und kann sich bald „Gauamtsleiter“ des Thüringer „Gauamtes für Rassenpolitik“ nennen.
Kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner nimmt sich Astel am 4. April 1945 das Leben. So war er.

„Der Skandal von Jena“: Zur Berufung des NS-Rassenforschers Hans F. K. Günther. Vom 14. Juli 1930. („Thüringer Volksblatt“, Organ der SPD)

„Die faschistische Regierung Frick in Thüringen hat einen Dr. Günther als ‘Professor für Rassenkunde’ an der Universität Jena ernannt. Diese Ernennung hat selbst die reaktionären Professoren der Universität Jena veranlasst, dagegen Front zu machen. Man muss Günthers ‘wissenschaftliche’ Leistungen selbst kennen, um zu verstehen, welche Kulturbildner die Faschisten sind. Ein einziges Zitat aus Günthers ‘Rassenkunde des deutschen Volkes beweist, wes Geistes Kind dieser nationalsozialistische Professor ist.

Er sagt: ‘Man frägt nicht mehr vernünftelnd nach Sinn und Zweck oder gar nach dem Wort des eigenen Volkstums oder der eigenen Rasse; man hat erkannt, dass die Mächte des Blutes dem Zergliedern des Verstandes kaum noch zugänglich sind, dass Blut, Rasse, Volkstum und angeborenes Wesen selbst die Verstandesleistung und wissenschaftliche Erkenntnis vielfach (!) bedingen. Man erkennt, dass das ererbte Blut eines Menschen sein eigenster, sein schicksaligster Besitz ist; so kommt man dazu, das Bluterbe als das Gewisseste anzusehen, das allem Glauben und allen Werten erst die Echtheit gibt; man kommt dazu, im Bluterbe eines Menschen sein Wesen und Sein zu spüren, das ihn echter bezeichnet als sein Tun. Und so endlich ist für Liebe und Glauben die eigentliche Heimat gefunden.

Soviel Unsinn auf einmal kann nur ein nationalsozialistischer ‘Professor zusammenschreiben.
Die thüringische Regierung hat sich mit der Ernennung dieses Günther ein Denkmal gesetzt, das sie der Lächerlichkeit preisgibt. Die Arbeiter jedoch und alle diejenigen, die es ernstnehmen mit dem Kampf gegen den Faschismus, sollen sich erinnern an den Brief jenes Hakenkreuzoffiziers vom 10. Februar, der betont, es sei nicht gut, dass ‘die Massen zu intelligent sind, weil sie sonst nicht für den Faschismus gewonnen werden könnten, Landsknechte, die mit der Mordwaffe gegen die um ihre Befreiung kämpfenden Arbeitermassen eingesetzt werden, bedürfen keiner Intelligenz.
Deshalb ist die Ernennung des Faschisten Günther als ‘Professor für Rassenkunde und Eugenetik nicht eine wissenschaftliche, sondern eine politische Demonstration. Die Nationalsozialisten haben hier durch Frick den Nachweis erbracht, dass es ihnen darauf ankommt, die Massen durch antisemitischen Unsinn zu verblöden. Diese Verdummungspolitik der Nationalsozialisten ist ein wichtiger Bestandteil ihrer konterrevolutionären Tätigkeit für das Finanzkapital.“

Dr. Christiane Wolf, Jonny Thimm: Scanning Weimar, Orte der NS-Zeit, DVD, Weimar 2006