Marstall

Der Weimarer Marstall am Kegelplatz beherbergte früher die Gestapo-Leitstelle. Heute ist er Sitz des Hauptstaatsarchivs Weimar. (© Raimond Spekking via Wikimedia Commons)

In der wechselvollen Geschichte des Marstall-Komplexes am Kegelplatz hat sich die Zeit als „Gestapo-Leitstelle“ am tiefsten eingeprägt. Von 1936 bis Kriegsende operierte von hier aus die für ganz Thüringen zuständige Geheime Staatspolizei. Es entstand über Jahre hinweg ein grausiger Schreckensort mitten in Weimar.

Dem Schloss gegenüber gelegen, erstreckt sich die mächtige, repräsentative Anlage des Marstalls, der in den 1870er Jahren im Neorenaissancestil errichtet wurde. In den ersten fünfzig Jahren wurde er, seiner Konzeption entsprechend, als Großherzoglicher Marstall, danach als Domizil der dritten Kavallerie-Division genutzt.

Gespann des Großherzogs im Innenhof des Marstalls

Mit dem Einzug des Justiz- und Volksbildungsministeriums begann 1921 seine Umnutzung. Als 1935 im Prozess der „Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“ das Justizministerium aufgelöst wurde, nahm kurz darauf die Weimarer Gestapo die Räume des östlichen Flügels, „Ilmpavillon“ genannt, in Beschlag; ihr vorheriger Amtssitz in der Sophienstraße reichte für die Aufgaben der neu gegründeten Gestapo-Leitstelle für Thüringen nicht mehr aus.

Kurz nach dem Einzug ließ sie in den Kellerräumen zwei Einzelgefängniszellen errichten. Ihr Raumbedarf wuchs jedoch mit jedem Jahr, sodass sich die Gestapo 1937 bereits in fast allen Gebäudeteilen eingerichtet hatte.
 Einzig der westliche Flügel verblieb dem Volksbildungsministerium, aus dessen Fenstern man ungehindert in den Innenhof blicken konnte.

1938 wurde im Innenhof eine große Verwaltungsbaracke mit mehreren Büroräumen und einem doppelt isolierten Verhörzimmer errichtet. Eigentlich nur provisorisch bis zum geplanten Umzug der Gestapo in das neue Dienstgebäude im Gauforum gedacht, war man jedoch gezwungen, die Räume im Marstall bis zum „geordneten Rückzug“ im April 1945 zu gebrauchen, da ein Dienstgebäude nie fertiggestellt worden ist.

Gestapo-Gefängnis und Sammellager für „Schutzhäftlinge“

Solche Vorladungen verschickte die Weimarer Gestapo im Oktober 1944. Die Vorgeladenen mussten sich am Kegelplatz 1 einfinden und wurden zur Zwangsarbeit in OT-Lager verschleppt. (© Sammlung Eisenbruch)

Eine ehemalige Wagenremise im Innenhof wurde zu einem provisorischen „Hausgefängnis“ mit zwölf Zellen und einigen Nebenräumen umgebaut, die ehemalige Reithalle nutzte die Gestapo ab 1942 als Sammellager für Transporte jüdischer Menschen in die Vernichtungslager im besetzten Polen. Während des Krieges waren 
die engen Zellen unter katastrophalen Haftbedingungen gefüllt; jeden Tag kamen neue Transporte mit „Schutzhäftlingen“, deren Zukunft oft monate-, ja jahrelang im Ungewissen verblieb.
Man verbrachte die Zeit dösend auf dem schlüpfrigen Fußboden, voller Misstrauen gegenüber den anderen Häftlingen, hoffend, dass nichts geschieht.
 Als der letzte Leitstellenchef, SS Obersturmbannführer Wolff, den „geordneten Rückzug“ und die Auflösung der Leitstelle befahl, bedeutete dies im April 1945 ein Massaker an den letzten noch verbliebenen 149 Häftlingen. Sie wurden in den Webicht, ein Weimar vorgelagertes Wäldchen getrieben, erschossen und in Bombentrichtern verscharrt. Die Täter flüchteten, eine Spur weiterer Morde hinter sich lassend,
 nach Süddeutschland.

„Zermahlene Geschichte“
Einen unkonventionellen Beitrag zum Umgang mit Bauten der NS-Geschichte kann man an dem Marstall-Kunstprojekt „Zermahlene Geschichte“ ablesen. Aus Bruchstücken der Vergangenheit und dem Betrieb der Gegenwart ist ein „Erinnerungsort“ entstanden.
Heute sind in der Hauptanlage, in einem renovierten und modernisierten Gebäude, 
die Akten, Magazine und Dokumente des Hauptstaatsarchivs Weimar und Thüringischen Landesarchivs untergebracht.
Die Kellerräume des „Ilmpavillons“ beherbergen eine Ausstellung über ihre Vergangenheit als Gestapo-Gefängnis.
 Die Existenz der beiden Gestaporäumlichkeiten (Dienstbaracke und Wagenremise) endete mit ihrem Abriss 1997 im Rahmen des Kunstprojekts. Die Künstler Horst Hoheisel und Andreas Knitz äußern sich in ihrem Erläuterungsbericht wie folgt:

„Der Abbruch der Gestapo-Baracke wird öffentlich gemacht. Zuvor werden Sachbeweise aus den Gebäuden gesichert. Es entsteht eine Asservatenkammer im Thüringischen Hauptstaatsarchiv (…) Beide Gebäude werden als ausgeschnittene Asservate in den zur Aktenaufbewahrung üblichen Archivkartons gelagert und im Archivgebäude aufbewahrt. Danach werden die Gebäude in einem Brechwerk zu Holzschnitzeln und Mauerwerksgranulat zermahlen. In zwei Containern wird während der gesamten Bauzeit das Material vor dem Marstallgebäude zwischengelagert (…), nach Abschluss wird das zermahlene Gefängnis und die Holzschnitzel der Baracke auf der Hoffläche (als oberste Schicht) aufgebracht. Die Grundrisse der beiden Gebäude werden als eine unterbrochene Kontur im Hof sichtbar gemacht.“

Dr. Christiane Wolf, Jonny Thimm: Scanning Weimar, Orte der NS-Zeit, DVD, Weimar 2006

Bildnachweis:

Die Schwarzweißfotografie entstammt der Sammlung Magdlung, diese kann hier eingesehen werden.