Der Ruf nach „Volksgemeinschaft“ und die Opfer nationalsozialistischer „Euthanasie“ in Weimar

Der Lernort Weimar widmet sich in diesem Jahr einem Thema, das noch immer vernachlässigt wird: den Opfern nationalsozialistischer „Euthanasie“ – speziell in Weimar und Thüringen.

Der Erfolg rechtsextremer Akteure in Thüringen wie auch im gesamten Bundesgebiet stellt die Gesellschaft vor eine Herausforderung: Es gilt, deutlich zu erkennen, welchem Menschen- und Gesellschaftsbild zu Erfolg verholfen wird, wenn rechtsextreme Strömungen und Parteien unterstützt werden.
Ein Vehikel dieses Menschenbildes sind die auch heute wieder verwendeten Begriffe der „Volksgemeinschaft“ und des “gesunden Volkskörpers”. Einhergehend mit der Beschwörung der „Gemeinschaft des deutschen Blutes“ war die Ausgrenzung von „Artfremden“. „Rassisch“ Fremde oder „rassisch Minderwertige“ konnten keinesfalls zur deutschen „Volksgemeinschaft“ gehören, ebenso sogenannte Erbkranke und geistig, seelisch oder körperlich kranke oder behinderte Menschen.
Die nationalsozialistische „Rassenhygiene“ diente zur Rechtfertigung von Krankenmorden im Rahmen der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, etwa in der „Aktion T4“, die die Erfassung, Begutachtung, Selektion und Tötung von PatientInnen von Heil- und Pflegeanstalten zum Ziel hatte. Genauso sollte mit den in Privathaushalten lebenden Kindern im Rahmen der „Kindereuthanasie“ verfahren werden.
Auch in Weimar wurde dieses Programm gefördert und umgesetzt.

Wie eine Gesellschaft mit ihren unterschiedlichen, die Norm mehr oder weniger erfüllenden Menschen umgeht, ob sie sie ausgrenzt und diskriminiert oder einbezieht und ihnen Rechte zugesteht, zeigt, ob und in welchem Grad die Menschenwürde gesellschaftlich geachtet ist. Die Achtung der Würde des Menschen ist die Basis für Gleichberechtigung und damit auch die Grundlage allen demokratischen Handelns.
Wir, der Lernort Weimar, wollen über das Thema ins Gespräch kommen – mit Schülerinnen und Schülern, mit Historikerinnen und Zeitungslesern, Radiohörern und Menschen, die mit offenem Blick durch Weimar laufen oder sich auf unserer Webseite umschauen, mit Ihnen.
Wir recherchieren zu den Lebenswegen von Menschen, die in Weimar lebten und aufgrund einer seelischen, geistigen oder körperlichen Krankheit oder Behinderung entrechtet und ermordet wurden. Unsere Ergebnisse publizieren wir in der Zeitung und auf dieser Webseite, und wir bringen sie in ein Schulprojekt ein: Schülerinnen und Schüler werden sich mit Weimarer Bürgern beschäftigen, die im Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurden. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem Thema nationalsozialistische „Euthanasie“.
Am 8. November 2020 schließlich werden neue Stolpersteine in Weimar verlegt. Zu diesem Anlass laden wir am Vorabend der Verlegung zu einer Podiumsdiskussion zur nationalsozialistischen „Euthanasie“ ein, die live im Radio oder TV übertragen werden soll. Die Gesprächsrunde ist Teil einer Diskussionsreihe zum Thema, die im September von der Lebenshilfe Weimar eröffnet wird.

Wir freuen uns sehr, dass der Lokale Aktionsplan Weimar uns auch bei diesem Projekt wieder finanziell unterstützt.

Unser Projekt findet im Dialog mit der Lebenshilfe Weimar statt, die es mit folgenden Veranstaltungen bereichert und ergänzt:

Vom 12. bis 20. September ist im Mon Ami die Ausstellung „Die nationalsozialistischen ‘Euthanasie’-Morde“ zu sehen.
Sie wird am 19. September begleitet von der szenischen Lesung „Komm, schöner Tod“. Das dokumentarische Theaterstück handelt von einem Mädchen aus Stuttgart, das mit drei Jahren Opfer der Kindereuthanasie wurde.
Am 16. September findet die erste Podiumsdiskussion im Mon Ami statt.

Wir hoffen, die Veranstaltungen im September und November können trotz der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie wie geplant stattfinden, und laden Sie schon jetzt herzlich zur Diskussionsreihe, Ausstellung und Stolpersteinverlegung ein.

Für Rückmeldungen und Erinnerungen, die uns bei unserer Recherche zur NS-“Euthanasie” in Weimar weiterhelfen können, sind wir dankbar. Vielleicht erinnert sich noch der ein oder die andere an einen Menschen, der davon betroffen war, einen Ort oder ein Ereignis in diesem Zusammenhang? Bitte kontaktieren Sie uns.